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Kulturreise Neapel



Neapel von unten
Oberflächlich betrachtet bringen viele Neapel nur mit der Camorra in Verbindung. Aber die italienische Metropole am Fuße des Vesuv besitzt auch Tiefgang. Den können jetzt auch Besucher der Altstadt von Neapel entdecken. Eine Reise durch die dunklen Höhlen der Stadt.

Den schwachen Moment, in dem sich Donna Concetta ihrem Nachbarn Enzo anvertraute, dürfte sie bitter bereut haben. Aber was soll man auch machen, wenn sich da so ein hartnäckiger, feuchter Fleck auf der Zimmerwand abzeichnet und von Woche zu Woche größer wird? Geteiltes Leid ist halbes Leid: Als Donna Concetta eines Morgens die Fensterläden ihrer kleinen Erdgeschosswohnung öffnete und gerade ihr Nachbar des Weges kam, schüttete sie ihm ihr Herz aus. Wie hätte die alte Dame auch ahnen sollen, was es mit diesem Wasserschaden auf sich hatte?

Donna Concettas sogenanntes Basso liegt mitten in der neapolitanischen Altstadt und ist eine dieser typischen Behausungen, in denen die Passanten ins Familienleben einbezogen werden. Die Eingangstür der Erdgeschosswohnung dient als einziges Fenster und steht den ganzen Tag lang offen, damit Licht in das schlauchförmige Zimmer fällt. Tagsüber rücken die Bewohner einen Stuhl vor die Tür, so wird die Gasse zur Terrasse.

Einen Fernseher hat Donna Concetta nie gebraucht. Keine 50 Meter von ihrer Wohnung erhebt sich die Kirche San Lorenzo Maggiore, der Dom ist knappe hundert Meter entfernt, und auch bis zur bei Touristen so beliebten Gasse Via Gregorio Armeno, in der ganzjährig Weihnachtskrippen gebaut und verkauft werden, sind es nur ein paar Schritte.

In der Altstadt von Neapel, dem Centro Storico, flattert Wäsche an quer über die Gasse gespannten Leinen. Viele Nachbarn haben Zeit für eine Plausch, man kennt sich und man hilft sich. Natürlich ging deshalb Enzo der Sache mit den Wasserflecken auf den Grund, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Enzo, der mit vollem Namen Vincenzo Albertini heißt, ist Höhlenforscher von Beruf und einer der wenigen Menschen, der sich ganz legal im neapolitanischen Untergrund bewegen darf. Was er unter Donna Concettas Haus in der Via di Girolamini fand, raubte ihm den Atem: Ein antikes griechisch-römisches Theater, erbaut zwischen dem vierten Jahrhundert vor und dem zweiten Jahrhundert nach Christus. „Ich habe ihr ein anderes Haus besorgt“, sagt Albertini knapp. Er gründete den Verein Napoli sotterranea, der seit gut zehn Jahren auch Führungen anbietet. Der Untergrund von Neapel ist nämlich hohl wie ein Schweizer Käse, die ganze Stadt ist auf - und oft auch aus – gelbem Tuffstein gebaut. Von zwei Millionen unterirdischen Quadratkilometern ist die Rede, rund die Hälfte ist erst katalogisiert.
Vor 5000 Jahren wurden die ersten Steinbrüche angelegt, denn der gelbe Tuffstein ist hier besonders stabil. Im vierten Jahrhundert vor Christus kamen die Griechen und gründeten Neapolis. Das Baumaterial für Stadtmauern, Häuser und Tempel ihrer neuen Stadt lag ihnen ja bereits zu Füßen. Es mussten weder Transportkosten noch Zölle gezahlt werden. Die Römer bauten Neapel später zur Metropole aus und erweiterten die unterirdischen Gänge im großen Stil: das oberirdische Aquädukt schien ihnen schwer zu verteidigen, daher verlegten sie die Wasserversorgung kurzerhand unter die Erde. 400 Kilometer lang soll das Höhlenlabyrinth sein. Auch viele Neapolitaner wussten bis vor kurzem gar nicht, welche Schätze sich unterm Pflaster ihrer Vier-Millionen-Stadt verbergen. Längst hatte die moderne Kanalisation die unterirdischen Zisterne abgelöst. Müll verstopfte die Brunnenschächte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als zahlreiche Menschen Zuflucht in den unterirdischen Kammern und Gängen fanden, waren die letzten Zugänge verschlossen worden. Nur die Camorra, die neapolitanische Mafia, nutzte angeblich noch manche Höhlen als Versteck.
In vielen Gängen ist heute noch der ölhaltige Anstrich zu sehen, der eins verhinderte, dass in den Zisternen und Kanälen das Wasser versickerte. 30 Meter unter der Erde ist es ganzjährig 15 Grad frisch. Und dann ist da dieses Theater, das Schritt für Schritt weiter freigelegt wird. Täglich betreten zahlreiche Besuchergruppen bereits seinen Bühnengang. Dazu wird in einer Erdgeschosswohnung der Altstadt höchst effektvoll ein schmales Bett zur Seite geschoben, unter dem sich eine Falltür öffnen lässt: Das Tor zur Unterwelt befindet sich in Donna Concettas Basso.

Rundreisen -Tipps Neapel

Unterirdisches Neapel
Deutschsprachige Führungen des Vereins Napoli Sotterranea beginnen täglich um 12, 14 und 16 Uhr (am Wochenende auch um 10, sowie 18 Uhr und am Donnerstag auch um 21 Uhr) an der Piazza San Gaetano 68 in der Altstadt von Neapel. Die winzige Piazza ist nur auf wenigen Stadtplänen verzeichnet, sie liegt östlich der Kirche San Lorenzo Maggiore an der Via Tribunali. Der Verein organisiert auf Anfrage auch Führungen zum Cimitero delle Fontanelle, einem rieseigen unterirdischen Friedhof, in dem seit 1656 all jene beigesetzt wurden, die sich früher kein anderes Begräbnis leisten konnten. Im Konvent der Kirche San Lorenzo Maggiore, einer der ältesten Kirchen Neapels, befindet sich der Zugang zu Resten einer römischen Strasse, an deren Rand noch Ladenräume zu erkennen sind (Piazza San Gaetano). Auch die größte Katakombe Neapels, die Catacomba die Gennaro im Hügel von Capodimonte, wurde seit dem 2. Jahrhundert nach Christus in den Tuffstein gebaut (Zugang über Kirche Madre del Bon Consiglio, Via die Capodimonte).

Literatur zu Neapel
Zwei Reiseführer ergänzen sich sehr gut: „Golf von Neapel“, Kampanien, Cilento, von Peter Amann (Reise Know-How Verlag, 19,90 Euro) und „Vis a Vis – Neapel“, von Emilia Marchi (Dorling Kindersley, 20,90 Euro). Wer sich für die Kulturgeschichte Neapels interessiert, dem sei „Neapel – Biografie einer Stadt“ von Dieter Richter (Wagenbach 2005, 13,90 Euro) empfohlen. Der Autor hat auch den lesenswerten Band „Neapel – eine literarische Einladung“ herausgegeben (Wagenbach 1998, 15,90 Euro), in dem Texte verschiedener Schriftsteller versammelt sind.

Allgemein
Azienda Autonoma di Soggiorno Cura e Turismo di Napoli, Neapel,
Telefon 0039/081/2525711, www.inaples.it.

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