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Zugreise Canadian



Wo man Prärie satt genießt
Mit dem Canadian von Vancouver nach Toronto

Es erklingt "Chattanooga Chou Chou", Glenn Millers Zug-Klassiker. Gespielt wird er von James, der One-Man-Band, die mit Trompete und Keyboard fast so eine Art Big-Band-Sound zustande bringt. Bei Sonnenschein, Kaffee, Gebäck und Fruchtsaft sitzen rund 50 Erste-Klasse-Passagier auf der Terrasse des Bahnhofs von Vancouver und lassen sich auf die Fahrt mit dem legendären "Canadian" einstimmen. Kanadas Flagschiff auf Schienen, die Nummer eins, wenn man die Tour von Toronto nach Vancouver macht, jetzt, in umgekehrter Richtung, "nur" Nummer zwei.

Punkt 17:30 Uhr steht der Canadian mit seinen 21 Edelstahlwagen aus den fünfziger Jahren bereit, gezogen von drei Lokomotiven.
Jerry, unser Schlafwagenbetreuer im Canadian, steht an der Tür und hilft bei Einsteigen. Mein Abteil befindet sich im Wangen der "Silver & Blue"-Klasse, der Luxusklasse. Die Betten an der Wand werden erst zur Nacht heruntergeklappt. Jetzt blickt man von zwei Sesseln auf ein Mini-Waschbecken mit Spiegel und auf die Tür zur eigenen Toilette. Zum Glück gibt es dem Dome-Car, den Aussichtswagen des Canadian mit Glaskuppel, die einen 360°-Blick über die zu erwartenden Highlights kanadischer Landschaften ermöglicht.
Dort erwische ich gerade noch den letzten von 24 Plätzen.

Dann tönt es plötzlich "itŽs Champagne-time", und John, einer der Zugbegleiter des Canadian, jongliert mit einem Tablett durch den Aussichtswagen. Der Willkommenstrunk in Plastikbechern entpuppt sich als Asti Spumante. Doch dazu düfen wir uns Kanapees und Frischkäse, Lachs oder Krabben aussuchen. Kurz danach lädt uns eine weibliche Stimme über Lautsprecher zum Dinner ein.
Allerdings ist jetzt erst die "Frühschicht" dran. Die Mahlzeiten im Canadian müssen aus Platzgründen in zwei Schichten eingenommen werden. Wir haben die Vororte Vancouvers hinter uns gelassen und fahren am Fraser River entlang. Am westlichen Ufer des Flusses stehen Trauerweiden und kleine, gemütliche Holzhäuser - fast ein Idyll, wären da nicht auf der anderen Uferseite die Entsorgungsstätten der Pazifikmetropole: Autoschrottplätze, alte Container, stillgelegte Fabriken.
Dann ist die zweite Schicht mit Essen im Canadian an der Reihe. Brian, der Service-Manager des Canadian, weist uns einen Platz im Speisewagen zu und präsentiert die Speisekarte: Zwei Vorsuppen, Filets vom Rind, Huhn und Lachs sowie diverse Desserttörtchen machen die Entscheidung schwer. Ein Blick zum Nachbartisch, an dem sich ein Herrenquartett bereits das Rind mit Kommentaren wie "perfect" und "great" munden lässt, gibt den Ausschlag. Während des Essens genießen wir das Ambiente des im Art-déco-Stil eingerichteten "Silver & Blue-Train": Stühle, bezogen mit dunkelblauen Hussen, Tische mit weißem und blauem Leinen eingedeckt, weiße Leinenserviettten, weißes Porzellangeschirr. Nach dem köstlichen Dinner, das der Bordkoch in einer zehn Quadratmeter kleinen Küche des Canadian gezaubert hat, nehmen wir noch eine kleinen Schlummerdrunk im Dome Car.

Am nächsten Morgen blicken wir aus dem Abteilfenster auf die grandiose Landschaft der Rocky Mountains: bewaldete Berge, Wasserfälle, dann wieder ein See, alles in fahles Morgenlicht getaucht. Also schnell raus aus den Federn. Die Dusche im Canadian am Ende eines jeden Waggons entpuppt sich als erfreulich geräumig. Dann geht`s zum Frühstück! Der Kanadier hat es gern etwas üppig, als müsste er jeden Tag mehrere Hektar Wald fällen, mit Grizzlys kämpfen und Wale jagen: als Basis Eier - gerührt, gekocht, pochiert oder als Spiegeleier, dazu Bratwurst, kross gebackener Schinkenspeck, "Ham" (ein zwei Zentimeter dickes Fleisch), Bratkartoffeln, dick gebutterter Toast, Müsli und Blaubeermuffins. Wir fahren nun durch endlose Waldgebiete, neben uns mäandert der tiefgrün schimmernde Fraser River. Leider lassen die tief hängenden Regenwolken nur selten einen Blick auf die teilweise noch jetzt im Juni mit Schnee bedeckten Berggipfel der Rocky Mountains zu. Keine Chance, einen Blick der kanadischen Rockies, zu erhaschen!

Gegen Mittag erreichen wir Jasper, den bekannten Wintersportort. Der Canadian hat hier einen eineinhalbstündigen Aufenthalt.
Die Zeit reicht, um den kleinen, charmanten Ort zu erkunden. Dann setzen wir die Fahrt mit dem Candian Richtung Toronto fort. Die Hebel der 2000-PS-Zugmaschine werden von Justine bedient, einer der drei Frauen, die als Lokomotivführerinnen in VIA Rails Diensten stehen. "Meine drei Kinder sind ein gutes Training, sich hier unter den Männern zu behaupten!", meint Justine. Doug, der zweite Lokführer, stichelt: "`ne Frau als Lokführer - also mir ist da immer mulmig." - "Keine Angst, ich bin ein Naturtalent. Meine Lizenz hab ich nach einem halben Jahr bekommen - und seitdem nie einen Unfall!"

Canadian Crew-Wechsel in Edmonton!
Kaum hat der Canadian den winzigen Bahnhof der Ölmetropole verlassen, wird er zum "feurigen Elias". Jetzt drischt John auf die 2000 Pferdchen ein, und die zwei Lokomotiven - die dritte ist kaputt! - zeigen, was in Ihnen steckt! Zum Dinner verläuft die Fahrt so rasant, dass man kaum den Löffel mit der vorzüglichen Fischcremesuppe zum Mund führen kann.
Vernon, unser charmanter Kellner, scheint mit dem auf den Schienen tanzenden Zug kein Problem zu haben: Er balanciert den Merlot kanadischer Herkunft gekonnt zu seinem Ziel. Auf echte Kerzen müssen wir aus Sicherheitsgründen verzichten, stattdessen sorgen batteriebetriebene Windlichter für festliche Illumination.
Saskatchewan und Manitoba, die kanadischen Bundesstaate, deren Grenze auf der Landkarte offenkundig mit dem Lineal gezogen wurde, sind eigentlich eher eintönige Prärieprovinzen. Schnurgerade rattert der Zug durch die "Kornkammer Kanadas". Vorbei gehtŽs an Getreidefeldern, an einem Meer aus Gräsern, an knallgelben Rapsfeldern, die mit der Sonne um die Wette strahlen. Hin und wieder eine Farm oder eine der "Kathedralen der Prärie", ein Getreidespeicher.
Doch nirgendwo sonst wird die legendäre Weite Kanadas offensichtlicher, erfährt man die riesigen Ausmaße dieses zweitgrößten Landes der Welt deutlicher als hier. Die Prärie lässt einen wirklich zur Ruhe kommen; hier gibt es keine Hektik, keinen Stress, keine Reizüberflutung.

Allmählich lernen sich die Mitreisenden im Canadian näher kennen: Für Pam und Nick aus dem australischen Perth ist die Tour mit dem Canadian Trail ihrer Reise durch Nord- und Südamerika. "So komfortabel haben es meine Vorfahren in Kanada nicht gehabt, die waren noch zu Fuß und mit Pferden unterwegs", sagt ein älterer Herr aus Kalifornien. "Vor allem ist es im Zug so schön kühl!", meint das Paar aus Florida. Allerdings powert die Klimaanlage des Canadian trotz unserer Proteste ständig auf höchster Stufe - angeblich ein technisches Manko des betagten Zuges.

Erst gegen Mittag des folgenden Tages ändert sich allmählich das Bild. Siedlungen tauchen auf. Am Horizont zeichnet sich die Skyline Winnipegs ab. Östlich der Hauptstadt Manitobas, im südlichen Teil des Kanadischen Schilds, durchfahren wir stundenlang eine Landschaft aus zahllosen Sümpfen, Seen und Flüssen, vor Millionen von Jahren durch die Eiszeit geformt. Unvorstellbar, dass der Bau einer Eisenbahnstrecke in diesem Gebiet überhaupt möglich war! Mittlerweile habe ich meinen Platz im Aussichtswagen des Canadian geräumt. Der 835. See ist dann doch nicht mehr so spannend. Außerdem knacken sämtlicher vier Mitglieder einer chinesischen Familie unentwegt und geräuschvoll Kürbiskern, was die beruhigende Wirkung der Landschaft zunichte macht. So geselle ich mich unten im Servicewagen zu Jean-Luc und Alain, zwei Franzosen aus Lyon, die sich gerade köstlich über die Zuginterne Lektion zum "effektiven Händewaschen" amüsieren. Das Plakat in der kleinen Bordtoilette des Canadian klärt den Fahrgast über sämtliche Schritte vom Anfeuchten bis zum Abtrocknen der Hände auf.

Dritter Tag an Bord unseres fahrenden Hotels! Wir haben mittlerweile die Provinz Ontario erreicht. Die anfangs noch ausgedehnten Nadelwälder weichen allmählich einem urwaldähnlichen Sumpfgebiet. An manchen Stellen ragen nur nackte Baumstümpfe gespenstisch in den Himmel. Endzeitstimmung. In der Nähe von Sudbury, der "Nickelhauptstadt der Welt", haben die Emissionen der Hüttenwerke die Umwelt so stark geschädigt. Dann werden die Wasserflächen größer. Immer häufiger sieht man Kanuten und Angler. Die Ufer der Seen nördlich des Huronsees sind von Ferienhäusern und Hotels gesäumt. Vor jedem Gebäude liegt ein Boot. Kinder tummeln sich im Wasser, während wir mit dicken Winterpullovern im Dome-Car sitzen, dessen Temperatur durch die Klimaanlage eher an Glühwein, denn an sommerliches Baden denken lässt.

Um 23 Uhr erreichen wir mit dreistündiger Verspätung Toronto. Die Stadt am Ufer des Ontariosees empfängt uns mit Festbeleuchtung. Die Fenster der imposanten Wolkenkratzer sind allesamt beleuchtet, obwohl kein Mensch mehr in den Büros arbeitet. Wir steigen aus, immer noch dick eingemummelt. 35° Celsius zeigt das Thermometer am Bahnhof! Hinter uns liegen 4500 Kilometer, 77 Stunden, vier Zeitenwechsel, 10 000 Seen, 1000 Rapsfelder und zahllose unvergessliche Momente im Canadian...

Text: Angelika Block

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